Aus den Aufzeichnungen von Magdalene Helm.

0, wie sich die Zeiten ändern!

 

Dabei denke ich zurück an meine Kinder- und Jugendzeit in den 20er und 30er Jahren. Damals war man jung, die Welt stand offen, und das Alter war weit.., weit.. . Wir Kinder wuchsen in unserem Dorf am Rande des Bramwaldes auf, die meisten wohlbehütet in einer Großfamilie mit Eltern und Großeltern, Urgroßvater war auch noch da. Zum richtigen Bauernhof gehörten viele Tiere. Sie bereicherten unser Leben und waren nicht fortzudenken. Man war nie allein.

Was ist noch von dem damaligen Dorfleben geblieben? Unsere alte Steinkirche aus dem 12. Jahrhundert mit ihrem Glockengeläut. Eine Glocke wurde auf unserem Tieplatz gegossen. Diese Stelle wurde durch eine Ausgrabung gefunden. Heute verkündet sie nach wie vor Freud und Leid, Tagesanfang, Mittag und Abendzeit.

Unsere Schule nebenan, das alte Fachwerkhaus, steht noch. Nur anderes Leben ist eingezogen, jüngeres: Die Schule wurde ein Kindergarten. So erfüllt sie noch einen guten Zweck.

Der Thie, die alte historische Stätte mit ihrem Steintisch und den 12 uralten Linden, sie wurden vor Jahren durch neue ersetzt, ist auch noch geblieben. Wir Kinder tummelten und versammelten uns dort gerne zum Zeitvertreib mit Spiel und Sport.. Durchziehende Schausteller zeigten öfter ihre Künste, ähnlich wie ein kleiner Zirkus.

Einst standen 5 Mühlen an unserem Schedebach, 4 Getreidemühlen und eine Sägemühle. Die Häuser stehen noch, die alten Mühlräder sind längst verfault; aber unsere Schede fließt weiter in ihrem alten Bett Richtung Weser.

Es war ein schönes, gesundes Dorfleben. Als Kind schon kannte man alle Einwohner, auch von weitem schon alle Pferde- und Kuhgespanne. Es war ein Leben und Treiben im Dorf, in Flur und Feld. Man kannte jeden genau, seine Tugenden, seine Freuden und Leiden, Schicksale, Nöte und Sorgen.

Geld war bei den meisten knapp. Wer bekam schon Rente oder war in einer Krankenkasse? Die Alten lebten weiter in ihrer Familie, gepflegt und betreut bis an ihr Lebensende.

Borgen macht Sorgen - wer Schulden machte und hatte, über den wurde ein bisschen abfällig gesprochen.

Machten wir mal mit der Schule einen Ausflug, dann reichten schon 30 Pfennige für 2 Flaschen Zitronensprudel. Tranken wir nur eine, hatten wir 15 Pfennige für unsere Sparbüchse zu Hause. Manchmal harten wir auch gar keinen Durst oder waren an einer Quelle, die wunderbar klares und wohlschmeckendes Wasser führte, vorübergekommen.

Wurde Vieh verkauft, dann passten wir Kinder auf, um ein kleines Trinkgeld zu erhaschen. Man drückte es uns in die kleine Hand, bis es auch in der Sparbüchse verschwand. Omas Sprichwort: "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not".

Mit allen großen und kleinen Kümmernissen konnten wir zu unseren Eltern und Großeltern gehen. Sie waren fast immer da oder wenigstens in Reichweite. Wir fühlten die Geborgenheit, wurden regelmäßig mit Essen und Trinken versorgt. Fast alles lieferten Garten, Feld und Vieh. Die Mahlzeiten waren nach heutigen Begriffen nicht üppig, eher einfach, aber nahrhaft, gesund und ohne chemische Konservierungsstoffe. Geschmeckt hat es immer allen, die gute Hausmannskost ohne viel Fleisch. Darauf freuten wir uns zum Sonntag. Beim Mittagessen dann die schöne Suppe vorweg, die durfte nicht fehlen, ebenso nicht Kaffee und Kuchen am Nachmittag.

Fast jedes Haus hatte im Hof oder Garten einen Lehmbackofen. Darin wurden alle 14 Tage Brot, Kuchen und Semmeln gebacken. Das alles schmeckte aus dem alten Ofen besonders gut, weil er mit Buchenholzscheiten geheizt wurde. Brot, Kuchen und Semmeln mussten 14 Tage reichen. Im Winter wurde geschlachtet, Fleisch und Wurst teilte man für das ganze folgende Jahr ein.

Obst wuchs in den Gärten genug heran, auch an den Straßen. So ungefähr kannten wir dort jeden Baum und zur Abwechslung schmeckten auch die Früchte aus Nachbars Garten gut. Alles wurde geerntet und gegessen zu seiner Zeit, Vorräte eingekocht und aufgehoben für den Winter. Heute wird alles gekauft, Gemüse und Obst glänzend und poliert das ganze Jahr. Wo bleibt da die Freude auf die heranwachsenden ersten selbstgeernteten Sachen, wenn man sie sich vorher schon übergegessen hat? Wer hätte auch früher von uns Dorfbewohner die fremden verschiedenen Sachen gekauft. Wir kannten sie gar nicht, dafür wurde kein Geld ausgegeben - statt Bonbons wurden meist selbst getrocknetes Obst, Zwetschgen, Apfel- und Birnen- stücke gekaut. Die schmeckten auch als Nachtisch aufgekocht gut zu besonderen Gerichten.

Eine Milchquelle hatte fast jedes Haus. Kuh oder Ziege lieferten mit ihrer Milch die Hauptnahrungsmittel. Die Zentrifuge wurde nach jedem Melken gedreht und die Sahne von der Milch getrennt.

Wo sind die Ziegen und die Kuhherden geblieben? Wenn noch welche durchs Dorf zur Weide getrieben würden, möchte ich nicht das Geschrei hören, wenn sie "was verlören". Das war früher selbstverständlich und niemand regte sich groß darüber auf Gänsegeschnatter ist auch nicht mehr im Hof und auf den Dorfstraßen zu hören. Kein Hahn kräht mehr auf dem Mist. Ja, der Wohlstand hat auch unser Leben verändert. Manches möchte man aber nicht zurückstecken oder Altes wiederholen. Wir haben uns an das neue Dorfleben gewöhnt und leben es auch weiter. Aber die Erinnerungen sind geblieben. Für uns Alte gilt immer noch der Spruch:

Was du ererbt von deinen Vätern,

erwirb es, um es zu besitzen.

Ob wohl die heutige Jugend noch einmal daran denkt?

Magdalene Helm