Die Heidelbeeren |
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Von Magdalene Helm Bei uns im Bramwald wuchsen sie, die kleinen begehrten Früchte. Wir Dorfbewohner und viele andere aus den umliegenden Dörfern wußten sie zu schätzen. „Ja, ja, Halebirn, wenn se man erst raipe würn“. So stand es schon mal in einem kleinen Gedicht in der DI. So war es aber auch. In Gedanken war man schon lange vor ihrer Reife meist Ende Juni alle Tage dabei und freute sich auf die Pflückzeit, deren Aufenthalt im Wald und auf der Heide und dem erbrachten Erlös bei ihrem Verkauf. Sie waren für viele Einwohner eine schöne Zwischenernte. Wenn ihre Blütezeit begann, hieß es: „Hoffentlich verfraset se nich“. Das passierte auch oft noch im Mai. Da sie aber nacheinander blühten und reiften und auch an vielen geschützten Stellen standen, da blieben dann meist noch Plätze über, wo man pflücken konnte. Wir kannten diese Stellen und die Holzhauer schauten nach und teilten sie ihren Nächsten mit, auch sonst, wo die besten Beeren standen. Dann war noch eine Sorge: „Hoffentlich kriegen wir das Heu bis dahin unter Dach und Fach“. Das war auch noch so ein Problem für mich, denn vorher durfte – konnte ich auch nicht gehen. Nur ab und zu für eigenen Gebrauch zum Kuchenbacken, was alle 14 Tage passierte im großen Lehmbackofen. Und dann: „Oma, backe doch mal Puffer“. Ja, denn mouste rasch en paar Halebirn langen. Puffer ohne Heidelbeerkompott, das war keine richtige Mahlzeit, da fehlte was. Ab Juli ging die Pfückerei dann richtig los und die Scheine wurden ausgegeben. Aber wenn schon festgestellt wurde, daß vorher sich schon ein paar blaue Beeren zeigten, dann gab es keinen Halt. Trotz Verbot und Pflückschein ging es in den Wald. Manchmal mehr rote wie blaue Beeren im Korb. Es machte auch Spaß, sich vom Förster nicht erwischen zu lassen. Man mußte damit rechnen, wie es schon passiert war, daß er die Körbe mit den Beeren ausschüttete und zertrampelte. Kam er in Sicht, dann wurde reisaus genommen oder sich verkrochen. Die Scheine wurden gerne von unserer Försterei verkauft, aber von uns nicht gerne bezahlt. Das Geld dafür wurde gespart. Aber auf die Dauer, wenn man tagelang ging, fast täglich, dann war doch besser, man kaufte sich einen Erlaubnisschein, denn die Sache war doch zu aufregend. Bühren, schon bekannt als „Ferkeldorf“, so auch genannt: „Das Halebirndörp“. Hatte es sich herumgesprochen, „Se sind raipe“, dann ging die Völkerwanderung los, zu Fuß, per Fahrrad und mit Roß und Wagen. Ganze Leiterwagen, voller Frauen und Kinder, ein paar Männer waren auch meist dabei, kamen angefahren zum Ärger unserer Dorfbewohner. Sie lagerten und blieben meist vorne im Walde, dem Nollenholz und rechts des Krümmeneckern hängen. Sie pflückten auch meist nur in ihre Henkelpötte und vor den Bauch gebundenen kleinen Gefäßen für den eigenen Bedarf. Wir amüsierten uns darüber, denn wir kannten und nahmen nur unsere extra dafür gekauften Heidelbeeren-Spankörbe in die linke oder rechte Hand beim Pflücken. Meist hatten sie auch bald die Nase voll, denn wie man sie oft stöhnen hörte: „Nä, nä, ssauwatt kann man nicht alle Doje moken“. Wir verzogen uns mehr in die Waldeseinsamkeit, denn diese Schnabbelei war nicht gut zu ertragen. Ich schloß mich meist meiner Freundin von der Nachbarschaft an. Deren Mutter ging schon morgens mit der Kiepe los, worin sie ihre Körbe unterbrachte. Wir hatten ja meist noch 1 Woche Schule bis zu den Sommerferien. Wir wußten, wo sie ungefähr pflückte. Angekommen dort, hörten wir immer wieder den guten Rat: „Nau plücket man schön joue Körbe vull“. Das wollten wir ja auch und vor Eifer gab es manchmal keine Frühstücks- oder Kaffeepause. Alles, was Zeit hatte, manchesmal auch keine, zog es in die Heidelbeeren. Selbst Frauen, die das ganze Jahr über Krankheit jammerten, im Walde beim Heidelbeerpflücken wurden sie wieder gesund. Ja es tat sich viel um die Heidelbeeren. Die vollen, manchesmal auch weniger vollen Körbe, abends nach Hause zu schleppen, war auch noch eine Last manchesmal und dann mit der Sorge: Hoffentlich werden wir sie auch los bei den Aufkäufern. Drei waren es meistens, manchesmal auch nur zwei. Wenn die ihre Körbe ihre bestimmten Pfunde gekauft hatten, dann war Schluß. War großes Angebot, gaben sie auch gleich statt 20 Pfennig pro Pfund nur 18. Manche Frauen trugen sie auch zum Markt nach Göttingen, dort gab es 10 Pfennig mehr oder auch auf Bestellung an Haushalte nach Münden. Nach dort verkaufte sie meine Mutter oft. Das gab auch ein paar Mark mehr in die Kasse. Nach Göttingen trugen meistens einige Frauen ihre Kiepen voll bis zur Bahn nach Dransfeld. Manchesmal erbarmte sich auch jemand und spannte an. Da ist es auch mal passiert, daß beim Einsteigen in die Bahn eine Frau ins Stolpern kam und die Kiepe mit den aufgestapelten Körben kopfüber im Abteil landete. Eine andere hatte ihren Erlös vom Markt in ihrer halben Vorbindeschürze zusammengefaßt getragen. Im Gedränge beim Einsteigen muß sich jemand bedient haben. Im Abteil angekommen, oh Schreck, oh Graus, das Geld war weg. Es sollte für die Aussteuer der Tochter gebraucht werden. Es war schwer verdient, nun war es futsch. Tränen haben ihr in den Augen gestanden. Am nächsten Tag ging es wieder los, um die Haushaltskasse aufzubessern. Oft bei Mückenfliegengeschwirr und Wespenstechen. Ihre Nester machten einem oft Beine, wenn man plötzlich mittendrin stand. Sie wurden gezeichnet und weitergegeben. Holzböcke hatte man auch aufgesammelt, besonders auf den Plätzen im Farnkranz. Das wurde alles mit in Kauf genommen, auch nasse Füße. Gummistiefel waren noch keine Mode. Ein älterer Mann hatte sich einen Holzkamm gebastelt. Damit sah ich ihn mal im Gemeindewald sitzen und die Heidelbeeren von den kleinen Büschen abkämmen. Der Korb sah aus, mehr Blätter wie Beeren. Im Allgemeinen war das verboten. Der Gemeindewald, da durften eigentlich nur wir Bührener pflücken ohne Erlaubnisschein. Da er aber den Dankelshäusern und Mielenhäusern gelegen war, bedienten sie sich zu unserem Ärger gerne dort. Da kam es dann auch mal zu grober Beschimpfung. Da war aber der Varloser Gemeindewald, der an einigen Stellen neu aufgeforstet war und besonders dicke, gute Beeren hatte. Frühmorgens vor Tau und Tag auch mal dort rein, es war noch niemand zu sehen. Um die Aufforstung war ein Gatter und auf einmal kamen ein paar junge Männer an mit viel Geschimpfe und bevor sie unsere Körbe schnappten und beschlagnahmten oder ausschütteten, da blieb uns nur noch schnell die Flucht über den Zaun. Drei Wochen dauerte die Haupternte-Pflückzeit, dann ließ die Gier nach und es gab für einige alleinstehende Frauen noch immer eine Nachlese. Eigentlich wäre die Zeit zwischen Heu- und Getreideernte mal eine kleine geruhsame Pause gewesen. Aber nichts da, die Heidelbeeren hatten es uns angetan. Mit dem Schmalzen- oder Wurstbrot, meistens auf dem Buckel – um die Taille gebunden, ging es immer wieder los. Hier und dort mal eine Quelle im Wald lieferte uns köstlichen Gänsewein. Von einigen Familien bekamen die Kinder sogar einige Tage Heidelbeer-Pflückeurlaub. Einige Jahre nach dem Krieg passierte es dann, daß die Forstverwaltung dem Treiben ein Ende machte. Es wurden mehrere Kahlschläge gemacht und viel Fichten aufgeforstet. Diese Kultur lieben die Heidelbeerbüsche nicht. Es wurde auch festgestellt, Heidelbeeren sind Unkraut für den Wald. Sie wurden vielfach fortgespritzt und heute sind nur noch vereinzelte Stellen, wo man sich mal ein paar Pfund pflücken kann für den leckeren Heidelbeerkuchen. Auch sind die alten Pflückerinnen fast alle ausgestorben und die Jugend ist damit nicht verwachsen. Die Rederei um den Fuchsbandwurm hält auch viele zurück. Schade, für uns alte Generation war ihre Pflückzeit trotz mancher Mühsal doch eine Ferienzeit im Walde. Die Fotos beim Heidelbeerenpflücken entstanden Anfang der 1930iger Jahre.
1.Irene
Menkel geb. Korf, 2. Elsa Kecker geb. Korf, 3. Mathilde
Prell geb. Korf,
1.Elsa
Kecker geb. Korf, 2. Irmgard Winnemuth geb. Prell. 3.Auguste
Korf,
Zusammenstellung: Georg Hoffmann
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